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Urteilt nicht, damit ihr nicht verurteilt werdet

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Aisha:
Schalom Tricky,

du fragst mich, was meint Jesus meiner Meinung nach?


--- Zitat von: Tricky ---Meiner Meinung nach Jesus meinte das absolute Richten und absolute Verurteilen. Ein endgültiges Beurteilen von Personen! - nicht von Handlungen!

Was meinte Jesus deiner Meinung nach?

--- Ende Zitat ---

Aus meiner Sicht meint er auf keinen Fall nur ein absolutes Richten oder Verurteilen!
wenn ich dich richtig verstanden habe, konzentrierst du dich besonders auf Abas Beispiel: "für immer verloren sein".

Das ist zwar ein zeitgemäßes aktuelles Beispiel des Urteilens/Richtens und fällt unbestritten unter den Begriff.

Warum schreibe ich aber "zeitgerecht"?

Der Aba hat sich in der Frage an dich (es ging noch nicht um unser allgemeines Thema des Verurteilens) ganz im Sinne eines im interreligiös Dialog erfahrenen Juden :), einer freikirchlichen Terminologie bedient. Worte wie "für immer verloren", "die nicht an den Maschiach glauben", "sein Opfer annehmen" usw.

Das Beispiel ist auf Jesu Aussagen nicht sehr gut anwendbar, weil seine Zuhörer keine evangelikalen Christen waren, sondern Juden und dort ist oben zitierte Terminologie UNBEKANNT . Weder gibt es "ewig Verlorene" im christlichen Sinne, noch muss man an eine "Messias glauben" im christlichen Sinne, noch kennt man eine "Rettung" im christlichen Sinne.
(zur Klärung der Begriffe im hebräischen Verständnis kommt mit der Hilfe HaSchems vielleilcht die Zeit).

Jesus spricht aus meiner Sicht von ganz allgemeinen zwischenmenschlichen Beziehungen des alltäglichen Lebens und nicht von einem Endgericht. Dazu muss man vielleicht erklären, dass  nach jüdischen Verständnis das "Richten G'ttes" , das eher ein "Zurechtrichten als ein Strafen ist" von G'ttes Seite aus ständig hier und jetzt geschieht. Das Endgericht gibt es zwar , hat aber mit dem christlichen Verständnis nach meinem bisherigen Verständnis nicht viel zu tun.

Aber sehen wir uns die Aussagen Jesu näher an:


Mt. 7/1 Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! 7/2 Denn mit welchem Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden, und mit welchem Maß ihr meßt, wird euch zugemessen werden. 7/3 Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber in deinem Auge nimmst du nicht wahr? 7/4 Oder wie wirst du zu deinem Bruder sagen: Erlaube, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und siehe, der Balken ist in deinem Auge? 7/5 Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen.

Da geht es um das alltägliche menschliche Verhalten, sich als besser zu sehen als der Mitmensch. In Wirklichkeit sind wir alle auf dem Weg , unvollkommen und ein Urteil besonders über den Bruder steht uns nicht zu. Wie könnte in Mensch beurteilen wie die Beziehung zu G'tt eines andern aussieht? Überhaupt nicht.

Die parallele Stelle bringt das noch deutlicher auf den Punkt

parallel dazu:
Lk. 6/36 Seid nun barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. 6/37 Und richtet nicht, und ihr werdet nicht gerichtet werden; verurteilt nicht, und ihr werdet nicht verurteilt werden. Laßt los, und ihr werdet losgelassen werden.


Barmherzigkeit bedeutet für mich, dass ich nicht die Fehler des andern sehe , sondern zuerst seine guten Seiten und selbst bei den vermeintlichen Fehlern keinen böse Absicht unterstelle.

6/38 Gebt, und es wird euch gegeben werden: ein gutes, gedrücktes und gerütteltes und überlaufendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn mit demselben Maß, mit dem ihr meßt, wird euch wieder gemessen werden.

Wir sollten von uns aus immer geben , egal ob uns der Mitmensch würdig vorkommt oder nicht.
Wenn wir überkritisch mit unseren Mitmenschen sind, ihnen laufend Böses unterstellen, wird G'tt mit uns genauso verfahren.

6/39 Er sagte aber auch ein Gleichnis zu ihnen: Kann etwa ein Blinder einen Blinden leiten? Werden nicht beide in eine Grube fallen? 6/40 Ein Jünger ist nicht über dem Lehrer; jeder aber, der vollendet ist, wird sein wie sein Lehrer. 6/41 Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber, der in deinem eigenen Auge ist, nimmst du nicht wahr? 6/42 Oder wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, erlaube, ich will den Splitter herausziehen, der in deinem Auge ist, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Heuchler, ziehe zuerst den Balken aus deinem Auge, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter herauszuziehen, der in deines Bruders Auge ist.

Jeder der nicht vollkommen ist, kann nicht klar sehen! Wie könnte man also seinen Mitmenschen beurteilen, ohne klare Sicht?

6/43 Denn es gibt keinen guten Baum, der faule Frucht bringt, noch einen faulen Baum, der gute Frucht bringt; 6/44 denn jeder Baum wird an seiner eigenen Frucht erkannt; denn von Dornen sammelt man nicht Feigen, noch liest man von einem Dornbusch Trauben. 6/45 Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor, und der böse bringt aus dem bösen das Böse hervor; denn aus der Fülle des Herzens redet sein Mund.

Das könnte eindeutiger nicht sein , klare Worte.
Er bringt hier ganz schön, den Zusammenhang zwischen Herz und Mund zum Ausdruck. Wie im hebräischen biblischen Verständnis die Gedanken aus dem Herzen kommen, kann der Mund nur reden, was im Herzen ist. Womit wir wieder bei unserem Beispiel " der bösen Zunge " wären.
Aus meiner Sicht lässt sich somit das Thema nicht trennen, die "böse Zunge" oder "üble Nachrede" und "Verleumdung" ist für mich ein sehr gutes Beispiel für die Lehre Jesu über das "Nicht-Urteilen-Sollen" :)

schalom

Aisha 

tricky:
Schalom zusammen!

Eigentlich sollte ich (und alle, die außer mir auch in Österreich wohnen) heute den ganzen Tag draußen verbringen und die Sonne genießen. Werde ich auch machen, gleich nach diesem Posting.

Ich möchte meine Position des Unterscheidens zwischen Bewerten und Beurteilen nochmal mit einem Beispiel von Jesus unterlegen. Jesus spricht zu seinen Jüngern:

Mt. 18/15 Wenn aber dein Bruder sündigt, so geh hin, überführe ihn zwischen dir und ihm allein. Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. 18/16 Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus zweier oder dreier Zeugen Mund jede Sache bestätigt werde. 18/17 Wenn er aber nicht auf sie hören wird, so sage es der Gemeinde; wenn er aber auch auf die Gemeinde nicht hören wird, so sei er dir wie der Heide und der Zöllner.

Dieses Beispiel unterlegt den Unterschied zwischen Bewerten und Beurteilen. Jemand sündigt an dir. Was tust du? Nach dem Grundsatz "Man darf nicht urteilen, bewerten, etwas sagen, usw." wird man seinen Bruder niemals gewinnen. Man muss ihn auf die Situation, auf die Sünde aufmerksam machen. Zwischen ihm und dir. Niemand anderer soll vorerst in diese Angelegenheit eingebunden werden.

Aber was ist notwendig um deinen Bruder zu gewinnen? Die Sünde ist passiert. Du als "Besündigter" (der an dem gesündigt wurde) musst BEWERTEN, ob das Sünde ist oder nicht. Du musst es als Sünde feststellen. Meistens ist das überhaupt kein Problem, denn wenn mir beispielsweise jemand etwas stiehlt, dann muss ich nicht lange nachdenken, ich habe sofort BEWERTET, dass an mir gesündigt wurde. (manchmal ist das auch schwerer festzustellen) Habe ich deshalb meinen Bruder VERURTEILT oder GERICHTET?? Vielleicht ja (DAS wäre falsch!), aber wenn meine Beziehung zu Gott stimmt, dann werde ich versuchen meinen Bruder zu retten! Darum geht's auch in dem Text:

Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.

Aber es gibt leider auch den anderen Fall. Was macht man dann? Man holt einen Zeugen hinzu und macht den Bruder nochmal in Liebe aufmerksam auf das, was er getan hat. Und wenn er dann auf dich hört, was gibt es Schöneres als:

Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen.

Aber es gibt auch den Fall, dass das nichts bringt :-( . Und DANN ist es immer noch nicht deine Aufgabe, deinen Bruder zu RICHTEN oder VERURTEILEN, aber du hast dein Möglichestes getan um ihn auf die Sünde aufmerksam zu machen. Hoffentlich kommt er mit der Zeit drauf, was er falsch gemacht hat.
Das (diesen ganzen Prozess) konntest du aber nur tun, indem du die Situation BEWERTET hast. Die Sünde wurde als Sünde aufgezeigt.

Und eines muss klar sein, das habe ich auch weiter oben bei meiner Frage schon klar zu machen versucht:


--- Zitat von: Tricky ---Meiner Meinung nach Jesus meinte das absolute Richten und absolute Verurteilen. Ein endgültiges Beurteilen von Personen! - nicht von Handlungen!
--- Ende Zitat ---


--- Zitat von: Aisha ---In Wirklichkeit sind wir alle auf dem Weg , unvollkommen und ein Urteil besonders über den Bruder steht uns nicht zu. Wie könnte in Mensch beurteilen wie die Beziehung zu G'tt eines andern aussieht? Überhaupt nicht.
--- Ende Zitat ---


Mir ist bei der ganzen Diskussion und bei allen meinen Postings immer klar gewesen, es geht beim Bewerten, Beurteilen und Richten IMMER und NUR um

HANDLUNGEN, SITUATIONEN, BEGEBENHEITEN, VERHALTENSWEISEN

niemals um

PERSONEN


Vielleicht ist jetzt klarer, was ich meine, vieleicht war das der Knopf, der jetzt gelöst ist. Verurteilen kann ich nur eine Person, Richten kann ich nur über eine Person. Bewerten tu ich dagegen alles (mit Ausnahme der Person) um mich herum.

viele Grüße

Tricky

Aisha:
Hallo Tricky,

es wird langsam klar, was du meinst mit "bewerten" und "beurteilen" und wo der vermeintliche Unterschied besteht.

Bei den Aussagen im Mt muss man allerdings die damalige Situation berücksichtigen. Es gab zu der Zeit noch eine Gerichtsbarkeit (Sanhedrin), die nach den Regeln der Torah vollzogen wurde. Daneben gab es noch die Römer.
Interessanterweise hat Jesus diese Gerichtsbarkeit (Sanhedrin) in seiner Lehre über das Nicht -Urteilen nicht angesprochen oder bezweifelt. Das wäre auch komisch gewesen, würde es doch einem Aufruf zur Anarchie gleichkommen.
Heute haben wir ein gutes Rechtssystem in einer Demokratie. Kein Religiöser (es sein denn ein Fanatiker) würde dieses in Frage stellen oder lehren, man dürfe einen Mörder oder Dieb nicht verurteilen.

Deshalb bleibt uns HEUTE nur die Lehre von Jesus  für Christen oder unsere Lehre der Torah in den zwischenmenschlichen Beziehungen anzuwenden.
Wie das nun in der Torah und in der Lehre Jesu gemeint ist, darüber können wir noch weiterreden.

schalom

Aisha

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