Forum > Orthodoxes Judentum
Solidarität, Zugehörigkeitsgefühl, Bindungen
Aisha:
Schalom Tricky,
--- Zitat ---Ich frage meistens vorher nach, wenn ich etwas nicht verstehe, damit ich weiß wie jemand anderer seine Worte gemeint wissen will (tolle Wortkonstruktion, oder?). Das ist besser als wenn ich mein eigenes Verständnis von bestimmten Worten heranziehe.
--- Ende Zitat ---
das ist eine sehr kluge Herangehensweise. Aus meiner Erfahrung entstehen durch das unterschiedliche Verständnis von Worten die größten Missverständnisse. Besonders zwischen christlichen und jüdischem Verständnis sind die Unterschiede sehr groß. Leider findet dies in der Praxis kaum Beachtung, weil es nicht einmal bemerkt wird.
--- Zitat ---Verantwortung und Verantwortlichkeit ist in meinem Verständnis nicht das gleiche. Die beiden Worte sind schon sehr stark miteinander verwandt, aber nicht gleich. Hier mein Verständnis:
--- Ende Zitat ---
Für mich gibt es im Grunde keinen Unterschied und gebe es nicht einen gewissen Tricky ;) , wäre mir nicht einmal aufgefallen, dass ich doch selbst zwei verschiedene Worte benutzte.
--- Zitat ---Verantwortung = Pflicht oder Bereitschaft für eine persönliche Tat die Folgen zu tragen.
Verantwortlichkeit = weiter gegriffen, aber weniger zwingend/deutlich. Verantwortlichkeit habe ich auch für einen Bereich, eine Zone, die meinen Wirkungskreis beschreibt.
praktisches Beispiel für Verantwortung: In der Arbeit borge ich mir einen Taschenrechner von meinem Kollegen aus, der fällt mir unabsichtlich herunter und ich nehme die Verantwortung wahr und ersetze den Taschenrechner gegen einen neuen. Direkte Verantwortung.
praktisches Beispiel für Verantwortlichkeit: In der Arbeit, bei einem Treffen der Kollegen in der Küche stehe ich, neben 7 Kollegen auch dabei. Ein Kollege hebt an und erzählt einen frauenfeindlichen oder rassistischen Witz, der meiner Geisteshaltung widerspricht. Meine Verantwortlichkeit drängt mich dazu offen dagegen aufzutreten und auch im Sinne meiner Kollegen ein klärendes Wort zu finden. Stilles Schweigen oder Mitlachen würde meine Verantwortlichkeit verletzen.
Anderes Beispiel für Verantwortlichkeit ist das Thema Restitution. Obwohl die heutige Generation selbst nichts dafürkann, gebietet es die Verantwortlichkeit, dass von Vorfahren gestohlenes Gut zurückgegeben wird an die ursprünglichen Besitzer oder deren Erben.
--- Ende Zitat ---
Sehr interessant! VerantwortlichKEIT im Sinne von MITverantwortung, was um einen Herum passiert. Sehr gut finde ich deinen Gedanken, dass Schweigen einer Zustimmung gleichkommt. Das sehe ich genauso!
Dazu eine Frage: Wie siehst du das in Bezug auf das Internet? Gelten hier dieselben Regeln. Wenn zum Beispiel in einem Forum, wo man selbst mitschreibt, pauschalierte fremdenfeindliche, rassistische, antisemtische etc. Aussagen gemacht werden, sollte man hier aktiv werden oder ist es hier weniger heikel, weil man anonymer ist?
--- Zitat ---Zitat Aisha
In der Bibel geschehen die Gedanken interessanterweise im HERZEN (lev) und nicht im Kopf. Genau das Herz erwähnt Jesus in seiner Lehre.
--- Ende Zitat ---
--- Zitat ---Das habe ich auch schon gehört. Da haben wir Westler ein Problem, weil wir meinen, dass das Herz der Sitz der Gefühle ist, oder? Im biblischen Verständnis ist das Herz da wo der Verstand sitzt, oder? Wo findet man das in der Bibel?
--- Ende Zitat ---
In der Bibel ist das Herz der verbale Teil des Verstandes (Binah), während das reine Bewusstsein im Kopf ist. Deshalb finden wir überraschenderweise das Wort Herz fast immer in Zusammenhang mit der "Sprache" oder dem "Wort". Die Bibel differenziert nicht zwischen Verstand und Gefühl , sondern beschreibt die direkten Zusammenhänge sehr gut . Die Bibelstellen werde ich in einem eigenen Herz-Thread reinstellen.
--- Zitat ---Heute ist uns jedoch klar, dass beides, Gefühle und Verstand im Kopf bzw. Rückenmark (Nerven) sitzen. Viele Gefühle (psychisches Spüren) spürt man auch im Magen...zumindest geht's mir so.
--- Ende Zitat ---
Die moderne Wissenschaft beginnt gerade zu entdecken, was die Torah seit Jahrtausenden lehrt :D
Heute wissen wir, weshalb man Gedanken im Magen spürt:
Das Somatische Nervensystem mit Zentrum im Gehirn , leitet Reize aus der Außenwelt weiter.
Das Vegetative Nervensystem , das Unbewusste, Zentrum hinter dem Magen (Solarplexus) in einer Ansammlung von Ganglienzellen (wie im Gehirn!). Unbewusste Steuerung der Vitalfunktionen.
Verbindung zwischen beiden ist der Vagusnerv, geht vom Gehirn abwärts, Zweige gehen auch zum Herzen, durchbricht das Zwechfell, verliert seine äußere Hülle und geht in Nerven des Sympathikus über. So verbindet er das Bewusste und das Unbewusste. Gedanken manifestieren sich körperlich und gehen in Fleisch und Blut über. Heute nennt man das Psychosomatik.
Die Torah lehrt, dass Gedanken sich immer manifestieren, wenn nicht in Taten, dann im eigenen Körper!
--- Zitat ---Oft schreibt man (mir geht es so) unterbewußt etwas in einen Forenbeitrag, weil man gefühlsmäßig darüber schreiben will, aber sich verstandesmäßig nicht recht traut es auszusprechen (bzw. auszuschreiben).
Diesem gefühlsmäßigen Bedürfnis wollte ich einen Nährboden schaffen aufdem die Diskussion jetzt keimen kann.
Es macht eine Riesenfreude mit dir zu schreiben! Ich genieße das total.
--- Ende Zitat ---
Die Freude ist auf meiner Seite :) :) :)
Du hast recht, oft sind wir sehr unbewusst. Gestern hatte ich ein interessantes Gespräch, wo mir jemand erklärt, dass im Laufe der Zeit durch das Studium der Torah und Beziehung mit G'tt diese unbewussten Teile weniger werden und wir immer bewusster werden. Na, da hab ich noch Hoffnung bei mir ::)
Unser Gespräch hier erinnert mich auch an etwas, was ich kürzlich gelesen habe in einem Beitrag über Gehirnforschung: Der Mensch kann sein eigenes ICH , seine Individualität überhaupt erst durch den Austausch mit anderen Menschen fühlen und erkennen. Würde man einen Menschen isolieren, könnte er sich als Individuum gar nicht fühlen. In diesem Sinne ist es normal, dass wir so unbewusste Dinge tun, die erst durch die Interaktion mit dem Mitmenschen für uns selbst erkennbar werden. :)
schalom
Aisha
Zusatz:
--- Zitat ---tricky: Das sind gute Gedanken zu dem Thema. Ich frage mich manchmal nur, warum mir Sünden passieren, über die ich vorher überhaupt nicht nachgedacht habe. Also einfach aus einer schnellen Situation heraus, ganz unbewußt und unabsichtlich. Da war vorher weder Wort noch Geist ... leider.
--- Ende Zitat ---
Geist/Gedanke war mit Sicherheit da, allerdings unbewusst.
Das Problem ist, dass unser Unterbewusstes keine Logik kennt und deshalb offen für Allerlei ist.
Aisha:
Schalom,
Für alle , die dieses oben Geschriebene interessiert
--- Zitat ---Aisha In der Bibel geschehen die Gedanken interessanterweise im HERZEN (lev) und nicht im Kopf. Genau das Herz erwähnt Jesus in seiner Lehre.
Ich habe seine Lehre hier nicht so aufgefasst, dass er bewerten wollte, was ist denn schlimmer der Gedanke oder die Tat? Oder sind sie gleichwertig? Der Gedanke gleich schlimm wie die Tat?
Nein, ich sehe das so, dass er hier ein Grundprinzip anspricht, das uns in der Bibel oft begegnet (das aber nicht so auffällt). Der Salomon spricht besonders oft davon: Ursache - Wirkung.
In der Reihenfolge so: Gedanke (Geist) - Wort (Information) - Tat
Nach diesem Prinzip wurde alles erschaffen: Schöpfungsgedanke - Wort - Werk
--- Ende Zitat ---
zum Herzen geht es hier weiter
schabbat schalom
Aisha
tricky:
Schalom Aisha!
--- Zitat von: Aisha am Mi., 13. Mai 2009, 12:50 ---Für mich gibt es im Grunde keinen Unterschied und gebe es nicht einen gewissen Tricky ;) , wäre mir nicht einmal aufgefallen, dass ich doch selbst zwei verschiedene Worte benutzte.
--- Ende Zitat ---
Bei www.wissen.de gibt es folgende Erklärung: Ver|ant|wort|lich|keit [f. -; nur Sg.] 1 das Verantwortlichsein 2 Bereich, für den jmd. die Verantwortung trägt; das fällt in seine V.
Es trifft die MITVerantwortung recht gut.
--- Zitat ---Sehr interessant! VerantwortlichKEIT im Sinne von MITverantwortung, was um einen Herum passiert. Sehr gut finde ich deinen Gedanken, dass Schweigen einer Zustimmung gleichkommt. Das sehe ich genauso!
Dazu eine Frage: Wie siehst du das in Bezug auf das Internet? Gelten hier dieselben Regeln. Wenn zum Beispiel in einem Forum, wo man selbst mitschreibt, pauschalierte fremdenfeindliche, rassistische, antisemtische etc. Aussagen gemacht werden, sollte man hier aktiv werden oder ist es hier weniger heikel, weil man anonymer ist?
--- Ende Zitat ---
Das ist ein schwieriges Thema. Inwieweit bin ich dafür verantwortlich, dass in einem Forum, in dem ich auch mitschreibe, andere eine total andere Meinung haben als ich. Es ist ja oft schon schwer, wenn man etwas als "gar nicht schlimm" selbst empfindet, jemand anderer aber (aufgrund seiner Vergangenheit) etwas als sehr beleidigend sieht. Deshalb ist eine Verantwortlichkeit hier viel schwerer festzustellen und wahrzunehmen. Gerade dann auch, wenn man in einem Forum mitschreibt, wo Andersdenkende sind.
Wenn es jedoch offen ist, wenn also klar ist, dass hier rassistisch oder antisemitisch gesprochen und postuliert wird, dann hat man schon die Verantwortlichkeit sich davon klar zu distanzieren bzw. sogar dieses Forum zu verlassen. Also das ist meine Meinung.
Jemand, der im gleichen Forum schreibt wie ich ist auch schwer für mich fassbar. Ich weiß ja quasi gar nichts über den, weil alles, was er schreibt, könnte auch erfunden sein. Es gibt generell im Internet so viele Eventualitäten. Es könnte ja sein, dass ich in einem Bereich eines Forums schreibe und in einem anderen Bereich, den ich nie lese oder mich beteilige, passiert etwas, das eben rassistisch oder antisemitisch ist und ich weiß nichts davon. Dann kann ich mich auch nicht distanzieren und die Verantwortlichkeit endet klarerweise.
Die Haupt- und Erstverantwortung ist also im Internet eher gegeben als die passivere Mitverantwortlichkeit.
I
--- Zitat ---n der Bibel ist das Herz der verbale Teil des Verstandes (Binah), während das reine Bewusstsein im Kopf ist. Deshalb finden wir überraschenderweise das Wort Herz fast immer in Zusammenhang mit der "Sprache" oder dem "Wort". Die Bibel differenziert nicht zwischen Verstand und Gefühl , sondern beschreibt die direkten Zusammenhänge sehr gut . Die Bibelstellen werde ich in einem eigenen Herz-Thread reinstellen.
--- Ende Zitat ---
Hast du jetzt eh schon gemacht. Muss mir das aber erst durchlesen. Gut, wenn wir Themen ein bisschen versuchen auseinander zu halten. Das erleichtert es enorm alles themenmäßig zu besprechen.
--- Zitat ---Heute wissen wir, weshalb man Gedanken im Magen spürt:
Das Somatische Nervensystem mit Zentrum im Gehirn , leitet Reize aus der Außenwelt weiter.
Das Vegetative Nervensystem , das Unbewusste, Zentrum hinter dem Magen (Solarplexus) in einer Ansammlung von Ganglienzellen (wie im Gehirn!). Unbewusste Steuerung der Vitalfunktionen.
Verbindung zwischen beiden ist der Vagusnerv, geht vom Gehirn abwärts, Zweige gehen auch zum Herzen, durchbricht das Zwechfell, verliert seine äußere Hülle und geht in Nerven des Sympathikus über. So verbindet er das Bewusste und das Unbewusste. Gedanken manifestieren sich körperlich und gehen in Fleisch und Blut über. Heute nennt man das Psychosomatik.
Die Torah lehrt, dass Gedanken sich immer manifestieren, wenn nicht in Taten, dann im eigenen Körper!
--- Ende Zitat ---
Danke für diese Infos. Das mit dem Solarplexus war mir komplett neu.
--- Zitat ---Geist/Gedanke war mit Sicherheit da, allerdings unbewusst.
Das Problem ist, dass unser Unterbewusstes keine Logik kennt und deshalb offen für Allerlei ist.
--- Ende Zitat ---
Unbewußte Gedanken sind aber viel schwerer zu steuern als bewußte, oder? Kann man sein Unterbewußtsein trainieren? Ich denke, dass das schon geht, oder?
viele Grüße
Tricky
Aisha:
Hallo Tricky,
wir sind hier im Großen und Ganzen derselben Meinung :)
--- Zitat ---Tricky: Jemand, der im gleichen Forum schreibt wie ich ist auch schwer für mich fassbar.
--- Ende Zitat ---
Das ist eigentlich schade, weil es nicht so bleiben müsste.
Aus meiner Erfahrung haben Leute, die sich im Internet bewegen große Schwierigkeiten von Angesicht zu Angesicht Beziehungen zu pflegen. Sie wählen deshalb diese Plattform, weil sie auf Distanz bleiben wollen.
Gerade im religiösen Bereich ist das irgendwie verständlich, weil das Misstrauen sehr groß ist und alles, was nicht zur eigenen Gruppe gehört , möchte man lieber gar nicht kennenlernen ::)
Aber das ist wieder ein anderes Thema. Um hetzerische Aussagen zu verurteilen, muss man den Täter nicht kennen.
--- Zitat ---Unbewußte Gedanken sind aber viel schwerer zu steuern als bewußte, oder? Kann man sein Unterbewußtsein trainieren? Ich denke, dass das schon geht, oder?
--- Ende Zitat ---
Ja natürlich!
Dieses Training ist schwieriger als jedes körperliche. Doch alles ist erlernbar.
schabbat schalom
Aisha
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